Regisseur und Buchautor Detlef Altenbeck stellt den Menschen John F. Kennedy ins Rampenlicht. Seine Recherchen brachten Dinge an den Tag, die aus dem Helden eine tragische Figur machten.

Vor 50 Jahren sprach John F. Kennedy die geschichtsträchtigen Worte: „Ich bin ein Berliner“ und erinnerte an das berühmte Cicero-Zitat „civis romanus sum“ (Ich bin ein Bürger Roms). Mit diesem Ausspruch 1963 in seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus wurde der jüngste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika auch zum Mythos. Was machte diesen strahlenden Helden aus? Dieser Frage geht Buchautor und Regisseur Detlef Altenbeck auf den Grund. Das Theaterstück „Ich bin ein Berliner“ feiert am 22. Dezember im Kleinen Theater Premiere. Über sein neues Werk sprach er mit Yvonne Spanier.

Berliner Morgenpost: Eine große Aufgabe, die Sie sich mit der Uraufführung von „Ich bin ein Berliner“ gestellt haben. Wie wollen Sie diese meistern?

Detlef Altenbeck: Indem ich sehr besondere Figuren auf die Bühne bringe, die wie Satelliten um die Sonne John F. Kennedy kreisen.Durch diese erhält der Zuschauer einige interessante Signale. Über den Politiker, aber auch über den Menschen Kennedy. Die Sonne leuchtet zu hell, als dass ich sie auf die Bühne bringen könnte.

Wie lange haben Sie recherchiert?

Seit Januar lese ich, kreuz und quer zum Thema Kennedy. Es gibt irrsinnig viel zu lesen über ihn und die Zeit. So ungefähr 40 Bücher habe ich wohl gelesen, einige natürlich nur teilweise. Ich wollte mich umfassend informieren, mir ein eigenes Bild machen. Im April habe ich dann parallel zur Lektüre angefangen, das Stück zu schreiben.

Was fasziniert Sie an J. F. Kennedy besonders?

Faszination ist nicht das richtige Wort. Bemerkenswert fand ich Kennedys Satz: „Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Mythos.“ Sagt der Mythos über den Mythos. Für mich die Überschrift meines Stückes. Darum geht es. Meine Recherchen brachten Dinge an den Tag, die mein Bild von Kennedy verändert haben. Einiges war mir echt neu. Danach setzte sich mein Bild von Kennedy völlig anders zusammen, und ich glaube, ich bin der Wahrheit zumindest etwas näher gekommen.

Wie hat sich das Bild verändert?

Hinter dem strahlenden jungen Hoffnungsträger für ein neues Amerika, ja für die ganze freie Welt, erkannte ich auch eine, wie soll ich sagen, eine dunkle und tragische Figur, den Menschen John F. Kennedy. Er war todkrank und trotzdem tat sein Vater, der Kennedy-Patriarch, alles, damit sein Sohn Präsident wird. Der gesunde, starke ältere Bruder, der es eigentlich hätte werden sollen, ist im Krieg gegen die Deutschen umgekommen. John F. Kennedy ist nichts übrig geblieben, als die heruntergefallene Fackel seines toten Bruders aufzuheben. Es geht mir nicht darum, die Legende John F. Kennedy vom Sockel zu stoßen, ich möchte mit meinem Stück vielmehr dem Zuschauer Lust machen, genauer hinzusehen, was es mit JFK und dem Mythos auf sich hat.

Was haben Sie dabei entdeckt?

Kennedy tanzte auf der Rasierklinge. Er war ihm – ja – ich sage, egal, ob er die vier Jahre seiner Präsidentschaft politisch und gesundheitlich überlebt oder nicht. Dann seine Frauengeschichten. Dies waren ja keine reinen Privatgeschichten. Die Sicherheitskräfte hatten beispielsweise gar keinen Überblick, mit welcher Frau er sich wo traf, so viele waren es. Darüber hinaus war ich wirklich schockiert, wie krank Kennedy war. Schon zwanzig Jahre vor seinem Tod erhielt er zweimal die letzte Ölung. Er hatte eine schwere Nebennierenunterfunktion, obwohl er das vor der Öffentlichkeit abstritt. Nahm täglich hohe Mengen Cortison zusätzlich zu irrsinnig vielen anderen Medikamenten. Kein Arzt wusste vom anderen, ihn selber kümmerte es nicht, was er einnahm. Unverantwortlich. Desillusionierend fand ich die Tatsachen über seinen Berlin-Besuch und über die Rede vor dem Schöneberger Rathaus. „Ich bin ein Berliner.“ Völlig neu war für mich, was Kennedy über Deutschland, Adenauer, die Berliner und die Mauer dachte. Auch das erzähle ich in meinem Stück.

Wurde Kennedy überschätzt? Machte sein früher Tod ihn zum Mythos?

Nur wegen seines frühen Todes wurde er zum Mythos. Er war zwar der erste Fernsehpräsident und diese scheinbar privaten Bilder der Familie prägten sich vielen ein. Aber sonst? Vielleicht haben wir ihm alle unser Leben zu verdanken, weil er die Kuba Krise zu einem guten Ende führte. Ansonsten war seine Präsidentschaft, freundlich gesagt, unbedeutend. Wir dürfen dabei aber auch nicht vergessen, dass er lediglich 1036 Tage Präsident war. John F. Kennedy ist der meist überschätzte amerikanische Präsident aller Zeiten. Las ich. Jetzt wurde Kennedy allerdings von Obama überholt.

Wollen Sie ein ewiges Rätsel lösen?

Als Orakel sehe ich mich nicht. Ich löse nichts, werfe eher Fragen auf. Ich zeige verschiedene Facetten Kennedys, den glänzenden Lack, aber auch was sich unter dem Lack verbirgt. Der Zuschauer muss sich dann ein eigenes Bild machen.

Welche Anforderungen stellen Sie an die Schauspieler?

Extrem hohe. Drei von Ihnen verkörpern immerhin Ikonen des 20. Jahrhunderts: Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, Jackie Kennedy.Die Schauspielerinnen müssen das Bild aufleben lassen, das wir von Ihnen haben. Zum anderen sollen sie aber auch etwas zeigen, was wir noch gar nicht wussten über sie. Sie waren eben auch anders als gedacht und müssen für den Zuschauer doch erkennbar bleiben.

Was wollen Sie dem Zuschauer vermitteln?

Alles. Ich möchte den Zuschauer einladen, sich zu enttäuschen. Ich möchte, dass er einfach alles vergisst, was er glaubte zu wissen, was er jemals annahm und sich vorgestellt hat, was er jemals gesehen, gelesen oder gehört hat. Geht natürlich nicht. Trotzdem. Wünschenswert wäre, wir würden nur das weitersagen und tragen, was wir auch bedacht haben.

Kennedy galt als Hoffnungsträger einer ganzen Generation. Hat jede Zeit ihr eigenen Idole?

Absolut. Ich habe aber was gegen Idole. Ich finde sie überflüssig. Idole sind nicht das, was sie zu sein scheinen und können auch gar nicht alles verkörpern, was in ihnen gesehen wird. Zumindest nicht dauerhaft. Da hilft Ihnen nur der frühe Tod. Orientieren wir uns doch an Werten, an Solidarität, Respekt, Toleranz zum Beispiel, nicht an Idolen.

Sie waren neun Jahre am Landestheaters Coburg engagiert, zuletzt als Intendant. Seit Sommer 2010 arbeiten Sie wieder als freier Regisseur und Autor. Wo leben Sie jetzt?

Ich lebe in Bonn, bin aber immer wieder gern in Berlin. Die Stadt ist was ganz Besonderes. Eine echte Großstadt. Als Kennedy kurz nach Ende des Krieges Berlin besuchte, war er zutiefst bestürzt über das Ausmaß der Zerstörung. Er fürchtete, dass das ruinierte Berlin nie wieder eine lebendige Großstadt werden würde. Ich glaube, der heute 96-jährige Kennedy wäre bei einem erneuten Besuch in Berlin sehr glücklich darüber, wie lebendig diese Stadt ist.