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Ausland 50. Jahrestag

Dallas will den Fluch des Kennedy-Mords brechen

Zum 50. Jahrestag des Attentats lädt Dallas 5000 Gäste ein. Die texanische Metropole macht den Mord an Kennedy zum Geschäft. Aber sie hat ihn noch nicht verwunden. Die Stadt kann JFK nicht ertragen.

Der Untersuchungshäftling des Dallas Police Department mit der Nummer 54018 lümmelt gelangweilt auf einem Stuhl. „Polizeibrutalität!“, mault Lee Harvey Oswald und zerrt an seinen Handschellen, „ich weiß nicht, warum man mich festhält.“ Captain Will Fritz lässt sich verhöhnen, anlügen, piesacken mit dunklen Andeutungen: „Hier laufen andere Sachen ab, von denen ihr Typen keine Ahnung habt.“ Oswald (23) weigert sich, zur Sache zu reden, und quatscht ohne Unterlass. „Meine Religion ist Karl Marx“, erklärt er schwülstig, „ich bin Marxist-Leninist, kein Kommunist.“

Fritz beginnt zu glauben, dass sein aufsässiger Gefangener in Verhörtechnik geschult wurde. Der Mann hat den Präsidenten erschossen, 45 Minuten später den Polizisten J.D. Tippit, dem Oswald verdächtig vorgekommen war. Nun sitzt der Kerl hier und tut so, als ginge ihn das alles nichts an. „Ihr Job ist es, mich zu schützen“, spottet Oswald an diesem Samstagnachmittag im November auf der Bühne der „Casa Mañana“ in Fort Worth, der Schwesterstadt von Dallas, etwa 40 Kilometer westlich gelegen. Oswald wird von Ben Williams gespielt, Captain Fritz von Ed Dixon. 300 Zuschauer bezeugen die Wiedergeburt des Mörders. Atemlos und abgeklärt, dasselbe grausame Spiel seit 1963.

Szene aus dem Theaterstück „Oswald“
Szene aus dem Theaterstück „Oswald“
Quelle: Samuel Rushen

Der Autor Dennis Richard hat „Oswald – The Actual Interrogation“ aus den Verhören gefertigt, die zwischen 14.30 Uhr am 22. November 1963, zwei Stunden nach dem Attentat auf Präsident Kennedy, und 11.15 Uhr am 24. November abliefen. Oswald nimmt pathologische Gestalt an: Avantgardist des amerikanischen Amokläufers, der mordet aus Sucht nach Unsterblichkeit, das Kennedy-Attentat in Dallas, das Martin-Luther-King-Attentat in Memphis, das Schulmassaker von Newtown. Von Oswalds Verhören gibt es weder Filme noch Tonbandaufnahmen oder Mitschriften. Nur Gedächtnisprotokolle. Schlamperei heißt die derangierte Mutter aller Verschwörungstheorien in Dallas.

Als Jack Rubys tödlicher Schuss fällt, verschwindet Oswald im Dunkel. Die übrigen Darsteller wenden sich einer Leinwand zu und nehmen ihre Hüte ab: „Fragt nicht, was eurer Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt“, sagt Kennedy in seiner Rede zum Amtsantritt. Der Satz, in Stein geschlagen an seinem Grab in Arlington, hallt nach in Dallas. Bei der Tatort-Bustour und im „Sixth Floor“-Museum an der Dealey Plaza, das Oswalds aus Kartons gebauten Schießstand am Eckfenster unter Glas hält. „Ask not what your country can do for you ...“ ist die Hommage an einen unschuldigen, selbstlosen Patriotismus, der, so glauben viele wehmütig, mit JFK starb. Der Satz soll auch als Beschwichtigungsformel gegen das Böse helfen, von dem sich Dallas endlich erlösen will.

In den 50er-Jahren die „City of Hate“

Den Fluch der Bluttat zu brechen, das ist das wichtigste Ziel der Stadtväter, wenn sich am Jahrestag 5000 wählerisch geladene Gäste auf der Dealey Plaza versammeln. Seit Sommer werden ihre Daten überprüft, seit einem Jahr laufen die Vorbereitungen der Stadt auf „The 50th“. Niemand spricht hier von Tod, der Festakt, heißt es, sei „dem bemerkenswerten Leben, Erbe und der Führungskraft Präsident Kennedys“ gewidmet. „Attentat? Welches Attentat?“, fragt sarkastisch der Kolumnist Jim Schulze. „Hat Dallas einfach das höllische Schicksal, immer wieder Architekt seines Verderbens zu sein?“

Ein halbes Jahrhundert lang hat sich die Stadt vor Gedenkakten nach Kräften gedrückt. Oswald habe mit der Stadt nichts zu tun gehabt. Nun soll die Seele gereinigt und eine Schuld vergeben werden, die Dallas nie angenommen hat.

Scott Parks, Reporter der "Dallas Morning News"
Scott Parks, Reporter der "Dallas Morning News"
Quelle: Privat

Man beleidigt Scott Parks nicht, wenn man Dallas bemerkenswert hässlich nennt. Der eminente Reporter der „Dallas Morning News“ ist im bikulturellen San Antonio aufgewachsen. Sein Spanisch ist makellos, seine Züge werden erweicht von der Melancholie eines sensiblen Mannes in einer rauen Umgebung. „Geld ist die Ethik dieser Stadt“, sagt er. Dallas bündelt doppelt sechsspurige Stadtautobahnen, die Wolkenkratzer der Versicherungen, Banken und Ölfirmen zwischen Brachen und Zerfall.

Die Hautfarben der Stadt sind seit den 60er-Jahren immer dunkler geworden, die Entscheidungselite blieb weiß. Milliardenschwere Öl-Familien wie die Hunts, Simmons’ und Pickens haben das Sagen. Ihre Kinder besuchen Privatschulen in den Vororten, von 130.000 Schülern in den öffentlichen Schulen der Innenstadt sind nur fünf Prozent weiß.

Schwarze durften bis 1962 nicht einmal im Kaufhaus des Liberalen Stanley Marcus eine Cola trinken. Damals sorgte die John Birch Society, die auch in den Präsidenten Truman und Eisenhower Kommunisten erkannte (von Kennedy ganz zu schweigen), für Dallas’ Image als Bollwerk von Rechtsextremen und Rassisten. Dem Milliardär H.L. Hunt war „Hitler zu liberal“; der frühere Generalmajor des Heeres, Edwin Walker, strafversetzt aus dem Augsburg der 50er-Jahre, weil er seiner Truppe ultrarechte Schriften verordnete, fand wohlwollende Aufnahme in Dallas. An den Türen von Juden in Dallas (darunter Stanley Markus) tauchten Hakenkreuze auf. Damals verdiente sich die Stadt den Schandnamen „City of Hate“.

Es wird reichlich Geld verdient

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Scott Parks erinnert sich daran, wie sehr man texanische Ölmillionäre in Amerika damals hasste. Polternd, grob, stinkreich in ihren gehörnten Cadillacs. Nach dem Attentat auf JFK fluteten Tausende Schmäh- und Drohbriefe in die Stadt. Dass der Mörder ein bekennender Linker war, der im Bus demonstrativ unter Schwarzen saß, milderte nicht das Verdikt über die Stadt des Hasses. Nach dem Attentat verstummte Dallas’ Rechte, man riss sich am Riemen. Wenn Bürger der Stadt verreisten, erzählten sie manchmal, sie wohnten in Houston oder New York. Niemand wollte aus der Stadt des Mordes kommen.

Erst die Fernsehserie „Dallas“ (1978–1991), berichtet Scott Parks, ersetzte den Killer L.H. Oswald durch den Bösewicht J.R. Ewing: „Die Sendung war ein Geschenk des Himmels“, glaubt Parks. Wenn heute der evangelikale Pastor Rafael Cruz Schwarze verhöhnt und Barack Obama „nach Kenia zurückschicken“ will, schadet das eher seinem Sohn, Senator Ted Cruz, als dem Ruf der Stadt.

Als der Anwalt und Händler John Neely Bryan den Ort 1841 gründete, gab die Mittellage zwischen den Küsten den Ausschlag. Die Lage ist auch heute attraktiv. Es wird reichlich Geld verdient. Auf reiche Spender hoffte damals auch Kennedy. Es waren Petrodollars, die ihn gegen den Rat seiner Berater nach Dallas lockten. Es kostete ihn den Kopf, das Geld überlebte.

Mehr als 250.000 Bürger säumten die Straßen

„Hier auf der Dealey Plaza ist jeden Tag der 22. November 1963“, erklärt gut gelaunt der Fremdenführer der „JFK Assassination Tour“, während er seinen Trolleybus über den Platz lenkt. Unter den Passagieren überwiegen müde Blicke, dicke Brillengläser, graues Haar. Umso aufgeweckter vermittelt der Tourleiter seine Melange aus Geschichte und Geschichten. Drei Tage vor dem Besuch des Präsidenten 1963 hatten die Zeitungen die Route der Wagenkolonne veröffentlicht. Oswald hatte die Wahl unter 20.000 unbewachten Fenstern. Mehr als eine Viertelmillion Bürger hießen John und Jackie Kennedy entlang der Straßen willkommen; Bürgermeister und Polizeichef hatten die Stadt tagelang beschworen, vor den Augen der Nation Ehre einzulegen für Dallas.

Ein Amateurfilm vom 22. November 1963, der zur Urerzählung der Nachkriegszeit wurde: Sekunden nach den tödlichen Schüssen auf ihren Mann, versucht Jacqueline Kennedy (in Pink), aus dem fahrenden Cabriolet zu fliehen. Ein Geheimdienstmann will sie schützen
Ein Amateurfilm vom 22. November 1963, der zur Urerzählung der Nachkriegszeit wurde: Sekunden nach den tödlichen Schüssen auf ihren Mann, versucht Jacqueline Kennedy (in Pink), aus... dem fahrenden Cabriolet zu fliehen. Ein Geheimdienstmann will sie schützen
Quelle: picture alliance/ dpa

Der Regen am frühen Morgen des 22. November war strahlender Sonne gewichen; Kennedy bestand darauf – zum Kummer der First Lady, die sich um ihre Frisur sorgte –, mit offenem Verdeck zu fahren. Ein paar Rechtsextreme verteilten Flugblätter, die JFK des Hochverrats bezichtigten. Die Massen jubelten, jauchzten, feierten. „Herr Präsident, Sie können wirklich nicht sagen, dass die Leute von Dallas Sie nicht lieben“, rief Texas’ First Lady Nellie Conolly ihm über die Schulter von ihrem Notsitz in der Limousine zu. Es waren wohl die letzten Worte, die John F. Kennedy vernahm.

In einer Stunde kann man bequem alle notorischen Adressen von Oswalds Flucht abfahren. Der Fremdenführer versäumt nicht zu betonen, dass der Mord an Kennedy ein Verbrechen war, das unter die texanische Jurisdiktion fiel, nicht unter das Bundesrecht. Ein Gesetz, das einen Präsidentenmord per se zur nationalen Rechtssache machte, schuf der Kongress erst danach unter dem Schock von Dallas.

Es gab bitteren Streit um den Körper Kennedys zwischen der Kripo von Dallas, die auf einer Autopsie in der Stadt bestand, und dem Secret Service, der auf Drängen der Witwe und des Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson den Leichnam buchstäblich zur Air Force One in Love Field entführte. Es scheint, als habe Dallas den Raub nie verziehen.

„47, white, male“

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Das Parkland Hospital, in dem Kennedy, Oswald und (drei Jahre später an Krebs, kurz vor der Wiederaufnahme seines Verfahrens) Jack Ruby starben, ist von Touren ausgenommen. Mag sein, dass sich die Klinik, längst modernisiert und nicht wiederzuerkennen, solche Pilgerfahrten verbeten hat. An der Wand des Warteraums der Radiologie erinnert eine kleine Bronzeplakette daran, dass dies am 22. November 1963 die Notaufnahme („Trauma Room 1“) war. Dort erhielt Kennedy die letzte Ölung durch zwei Priester, die kurz darauf den Reportern draußen den Tod bestätigten.

Die Tour führt zum Tatort des Polizistenmordes und Oswalds Haus. Die Besitzer wollen 500.000 Dollar für den schäbigen Bungalow haben. Auf 65.000 wurde er jüngst geschätzt. Der Rest des Preises wäre morbide Liebhaberei.

John Slate, der Stadtarchivar
John Slate, der Stadtarchivar
Quelle: ASCE Dallas

„47, white male“, hält das maschinengeschriebene Formblatt der Mordkommission von Dallas fest, das im Rathaus ausgestellt ist. Unter Beruf steht: „President of the United States“. Dallas’ Chefarchivar John Slate erzählt, wie demütig und ehrfürchtig ihn diese Dokumente stimmen. Oswalds und Rubys Fingerabdrücke, ein Telegramm an Oswald aus Turtle Creek, Pennsylvania („You are dead!“), das der Mörder am 23. November in der Haft las. Für Aberhunderte Glückwunschbriefe an seinen Mörder Ruby („... nur schade, dass er nicht länger gelitten hat“) ist kein Raum. Immerhin ist erklärt, warum Jack Ruby nur neun Fingerabdrücke zu bieten hatte: „linker Zeigefinger fehlt; bei einem Kampf abgebissen“.

Die Abdrücke liegen neben einer Aussage von Oswalds (damals getrennt lebender) Ehefrau Marina Oswald, geborene Nikolaiowna Prusakowna: „Im April werde ich drei Jahre mit ihm verheiratet sein.“ John Slate (49) wirft mit dem Fieber des Archäologen ein: „Achten Sie auf das Tempus: ‚ich werde‘, da lebte Oswald also noch.“

Auf den Schwarz-Weiß-Fotos aus den Polizeiakten tragen die Detektive Hut, die Zigarette klebt im Mundwinkel. Ihre Vorgesetzten kauen auf Zigarren. Slate erzählt von Rubys Frauenkleidern und der Damenbadekappe, die der „tough guy“ und Stripklubbesitzer beim Schwimmen trug. Vom Texas Theater, in dem Oswald überwältigt wurde. Es ist heute das beste Programmkino der Stadt mit der „angesagtesten Bar“. John Slate kennt die Betreiber: „Sie sind stolz darauf, diesen berüchtigten Ort der Kultur und dem Genießen zu widmen.“

Die größte Touristenattraktion der Stadt

Von dem Rathaus, das von außen abstößt wie ein Bunker, innen durch ein Atrium und Tageslicht von allen Seiten versöhnt, sind es 20 Minuten zu Fuß zur Dealey Plaza. Dort bietet ein zahnloser, fröstelnder Obdachloser eine JFK-Expertise an; auf Ablehnung reagiert er sauer. Hier, am Eingang des früheren „Texas School Book Depository“, 411 Elm Street, findet sich eine graue Metalltafel, die Lee Harvey Oswald als „mutmaßlichen“ Mörder des Präsidenten nennen. Es ist bizarr und rechtlich korrekt: Oswald wurde nur vor der Geschichte verurteilt und alles andere als einmütig. Sieben von zehn Amerikanern glauben an eine Verschwörung.

Das Innere des Sixth Floor Museums. Von hier aus hat Lee Harvey Oswald womöglich JFK erschossen
Das Innere des Sixth Floor Museums. Von hier aus hat Lee Harvey Oswald womöglich JFK erschossen
Quelle: dpa

Das vorzügliche „Sixth Floor“-Museum in dem Gebäude, das lange abgerissen werden sollte, ist die größte Touristenattraktion der Stadt. Die Pilger müssen ihre Weihestätte haben. Das prächtigste Exponat ist ein leer stehender cremefarbener Anzug mit sandfarbenen Wildleder-Cowboystiefeln; über einem gedachten Kopf schwebt ein Cowboyhut. Der Anzug lebt, er neigt sich in einer Abwehrbewegung leicht nach rechts: So, wie es instinktiv Jim Leavelle, Detektiv der Mordkommission von Dallas, am Sonntag, dem 24. November, um 11.21 Uhr im Keller des Polizeipräsidiums tat, als Ruby dem mordverdächtigen Oswald, der an Leavelles linkes Handgelenk gekettet war, in den Bauch schoss.

Das preisgekrönte Foto Bob Jacksons gefror den Detektiv in einer Reflexhaltung, die mehr Gereiztheit über eine Störung als Entsetzen auszudrücken scheint. Leavelle lebt noch, hochbetagt, auch Marina Oswald Parker (72) und ihre beiden Töchter. Über Jahrzehnte gab sie vor vier Untersuchungskommissionen an, ihr Mann sei der Mörder gewesen. Heute, so heißt es, glaubt sie, dass Vizepräsident Johnson hinter dem Komplott stand.

„Ich wurde über Nacht erwachsen“

Solche Mythen überleben so hartnäckig wie die Erinnerung, wo Menschen waren, als sie von den Schüssen auf den Präsidenten hörten. 40 von 190 Millionen Amerikanern hörten an jenem Freitag in der Schule die Nachricht von den Schüssen. Jeder erinnert sich an bestürzte Durchsagen des Direktors und schulfrei für den Rest des Tages.

Scott Parks war in der achten Klasse in San Antonio. Jo Hailey hatte gerade Italienisch in ihrem Gymnasium in Georgia; Joe Kelley hatte Latein in seiner katholischen Schule. Die beiden sind tief bewegt: „Kennedy war mein Held“, sagt Joe, „er ist es noch. Und ich bin noch nicht über den Verlust hinweg.“ Es sei der Verlust der Unschuld ihrer Generation gewesen, sagt Jo: „Ich wurde über Nacht erwachsen.“ Millionen „Baby Boomer“ tragen das unerfüllte Versprechen, für das John F. Kennedy stand, verkapselt in ihrem Herzen. Bisweilen holen sie es hervor zum Gedenken wie einen Rosenkranz. Sie trauern, um ihn und um ihre Jugend.

Der Reporter

Darwin Payne schrieb damals die Story seines Lebens
Darwin Payne schrieb damals die Story seines Lebens
Quelle: © SMU

Darwin Payne war an jenem Tag seit kaum drei Monaten Jungreporter des „Dallas Times Herald“. Seine Aufgabe an jenem Tag: durchtelefonierte Berichte über die First Lady vom Flughafen und von einem geplanten Lunch aufzunehmen und in Storys zu gießen. Daraus wurde nichts. Als ein Kollege über Polizeifunk von den Schüssen hörte, rannte Payne die fünf Häuserblocks zur Dealey Plaza und recherchierte die Story seines Lebens. Es ist ein Genuss, dem feinen Herrn, 76 Jahre alt, zu lauschen, der mit distinguierter Sprache, erwärmender Freundlichkeit und seinem reichen Wissen der perfekte Zeitzeuge sein könnte. Wäre er nur etwas eitler.

Damals machte Payne keine 15 Minuten nach den Schüssen als erster Reporter Abraham Zapruder ausfindig, den Kleiderfabrikanten, der das Attentat gefilmt hatte. Zapruder habe geweint, erinnert sich Payne, und verzweifelt immer wieder darauf bestanden, dass der Präsident tot sei, nicht nur angeschossen: „Ich habe gesehen, wie sein Hinterkopf explodierte“, Blut und Gehirnmasse hätten gespritzt: John F. Kennedy sei tot, er wisse es genau.

Payne bot dem Mann Geld für den Film, aber Zapruder wollte ihn dem Secret Service oder dem FBI übergeben. Als nach einer halben Stunde Polizisten den Film holten und zum Entwickeln brachten, gab Payne auf. Er stieg in den sechsten Stock des Schulbuchlagers, sah die aus Kartons errichtete Schützenstellung, drei Patronenhülsen. Er habe nichts angefasst, glaubt Payne. Das Vertrauen, das Polizisten damals in Reporter setzten, ist rührend und skandalös.

Minuten später fuhr Payne zu Oswalds Zimmerwirtin, tat seine Arbeit. „Na, Sie haben es aber eilig“, habe die Frau zu Oswald gesagt, als der in sein Zimmer stürzte (um seinen Revolver zu holen) und sofort wieder verschwand. Payne hat seine Reporternotizen noch. Als er Jahrzehnte danach an der Southern Methodist University lehrte und Bücher schrieb , wurde er gefragt, ob das Attentat sein Leben verändert habe. Hat es das? „Ich fühle mich etwas schuldig, es zuzugeben: Mein Leben hat der Mord nicht verändert. Ich war früher ein Linksliberaler und bin es noch heute; und auch meine Meinung über die menschliche Natur hat das Attentat nicht verändert.“

Aber, Mr. Payne, Sie können doch froh sein, dass es Bedeutenderes gegeben hat in Ihrem Leben. „Meinen Sie wirklich?“, fragt er dankbar, „ich muss mich nicht dafür schämen, nicht traumatisiert zu sein?“ Und lächelnd: „Nun fühle ich mich ein wenig gesünder.“

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