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Attentat

„Kennedy war cool und ist es noch immer“

Panorama / Lesedauer: 6 min

Stephen Fagin, Kurator der Kennedy-Gedenkstätte Sixth Floor in Dallas, sieht in dem ehemaligen US-Präsidenten eine fotogene Symbolgestalt
Veröffentlicht:16.11.2013, 17:25

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Das Sixth Floor Museum in Dallas ist eine Gedenkstätte, die an das Attentat auf John F. Kennedy in Dallas am 22. November 1963 erinnert. Das Museum ist im ehemaligen Texas School Book Depository untergebracht. In diesem Depot für Schulbücher hatte sich Attentäter Lee Harvey Oswald verschanzt und die tödlichen Schüsse auf den Präsidenten abgegeben. Frank Herrmann sprach mit Stephen Fagin, dem Kurator des Museums, unter anderem über das nicht immer ganz einfache Verhältnis der Menschen in Dallas zu diesem Gebäude und über die Gerüchte, die es immer noch über Kennedys Tod gibt.

Herr Fagin , wie war das Umfeld, als Kennedy in Dallas ermordet wurde?

Dallas war lange bekannt als konservative Stadt, aber in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren gab es rechtsextreme Gruppen, die jedes Mal demonstrierten, wenn Politiker von Rang zu Besuch kamen. Das prägte das Bild, das die Welt von Dallas hatte. Lyndon B. Johnson wurde hier 1960 im Wahlkampf bespuckt. Unserem UN-Botschafter Adlai Stevenson schlug jemand eine Stange gegen den Kopf, das war vier Wochen vor dem Besuch John F. Kennedys. Als dann Kennedy getötet wurde, war es so, als würde die Welt kollektiv aufstöhnen: Oh Dallas! Eine wütende Stadt, ein vergiftetes Klima, das war damals der Ruf. Die Realität war natürlich differenzierter, dennoch hat es Jahrzehnte gedauert, ehe Dallas dieses Image loswurde.

Das Schulbuchlager, in dem sich Oswald verschanzte, sollte abgerissen werden. Warum?

Nach dem Tod Kennedys wollte Dallas jede Erinnerung an den Mord auslöschen. Das Lager galt als Manifestation des Bösen. Die Einheimischen sahen, wie Touristen das Haus anstarrten. Das war ihnen unangenehm.

Wer hat das Gebäude gerettet?

Zunächst diente es noch bis 1970 als Depot für Schulbücher. Danach wurde es versteigert an einen Musikproduzenten aus Nashville, der es umwandeln wollte in ein Museum, allerdings in eines, das kräftig Gewinn abwerfen sollte. Der Mann hatte sich aber finanziell übernommen, sodass er die Immobilie 1972 wieder verlor. Zu der Zeit waren die Dallasites mehrheitlich der Meinung, dass die Abrissbagger endlich anrücken sollen. Ross Perot (Technologieunternehmer und Präsidentschaftskandidat der Jahre 1992 und 1996, Anm. der Red.) gehörte zu denen, die das forderten. Die lokale Verwaltung, allen voran ein weitsichtiger Beamter namens Judson Shook, hat das Haus gegen heftigen Widerstand gerettet. 1977 kaufte sie es, ließ die untersten fünf Etagen renovieren und siedelte einige ihrer Dienststellen dort an. Im sechsten Stock, wo Oswald auf Kennedy zielte, gibt es seit 1989 ein Museum, gegründet von der Historischen Gesellschaft von Dallas und nicht am Profit orientiert.

Warum hat es 26 Jahre gedauert, ehe die Stadt bereit war für so ein Museum?

Nun, es gab die Furcht, es könnte ein Schrein für Oswald werden. Viele sagten, Kennedy hat das Schulbuchlager nie auch nur betreten, wie kann es da ein Memorial zu Ehren Kennedys sein. Andere dagegen waren der Meinung, man brauche es als Stätte der Bildung. Jedenfalls waren wir landesweit Vorreiter. Zwei Jahre nach uns wurde das Lorraine-Motel in Memphis, der Ort, an dem Martin Luther King erschossen wurde, ein Museum für Bürgerrechte. Im Falle des Alfred P. Murrah Buildings in Oklahoma City, eines Verwaltungskomplexes, vor dem Timothy McVeigh 1995 einen Lastwagen voller Sprengstoff zündete, dauerte es nur fünf Jahre, ehe es als Gedenkstätte eingeweiht wurde. Heute ist es kaum noch eine Frage, dass man solche Gebäude bewahrt und sie nicht nur dem Verlust widmet, sondern auch der Erneuerung, die dem Verlust folgte.

60 Prozent der Amerikaner glauben nicht, dass Oswald der alleinige Täter war. Früher waren es sogar 80 Prozent. Worauf beruht diese Skepsis?

Ich antworte darauf mit William Manchester, einem Historiker, der im Auftrag Jacqueline Kennedys ein Buch über den Mord an JFK schrieb. Nach Manchesters Worten fällt es schwer zu akzeptieren, dass ein so unbedeutender Mensch wie Oswald eine so charismatische Figur wie Kennedy allein töten konnte. Hier ein Mann, der als Hilfskraft Schulbücher in Kartons packte, keine Freunde hatte, von seiner Frau getrennt lebte. Dort der Anführer der freien Welt, international respektiert, der mit seiner schönen Frau und zwei süßen kleinen Kindern eine ganze Ära prägte. Dass das Leben einer solchen Lichtgestalt von einem Lee Harvey Oswald ausgelöscht wird, damit können sich viele einfach nicht abfinden.

Wie erklären Sie sich, dass die Verschwörungstheorien blühen wie eh und je?

Zu praktisch jedem Kapitel dieser Geschichte gibt es unbeantwortete Fragen. Daraus kann man leicht Verschwörungstheorien stricken, mal mehr, mal weniger plausibel. Übrigens, in meinen 13 Jahren hier im Museum habe ich eines gelernt: Was immer Besucher an Vorurteilen mitbringen, es sind dieselben Vorurteile, mit denen sie das Haus wieder verlassen. Ich habe noch keinen getroffen, der sich hier vom Gegenteil überzeugen ließ. Die einen schauen aus dem Eckfenster, an dem Lee Harvey Oswald stand, und sagen sich, klar, es ist leicht, von hier aus zu treffen. Andere halten das für völlig unmöglich und malen sich vor ihrem geistigen Auge ballistische Kurven aus, suchen die Umgebung nach Plätzen ab, von denen der vermeintlich wahre Attentäter geschossen haben könnte.

Es fällt auf, wie viele junge Menschen in Ihr Museum kommen, Menschen, die Kennedy nie erlebt haben.

Als wir 1989 unser Museum öffneten, wussten zwei Drittel unserer Besucher genau, wo sie an jenem 22. November 1963 waren und was sie getan haben, als die tödlichen Schüsse fielen. Heute ist es genau umgekehrt. Dennoch, das Interesse hat nicht nachgelassen.

Woran liegt das?

Als Kennedy starb, war er 46 und hatte kein graues Haar. Damit hört sein unvollendetes Leben auf, so haben wir ihn in Erinnerung, perfekt, als wäre das Bild festgefroren in ewigem Eis. Gerade junge Leute können sich gut mit ihm identifizieren. Vor zwei Jahren hatten wir Demonstranten von „Occupy Wall Street“ auf der Dealey Plaza, sie hielten Fotos von Kennedy hoch und entrollten Spruchbänder mit Kennedy-Sprüchen. Natürlich war er ein Mann seiner Zeit, aber zugleich war er den 1960er-Jahren voraus. Kennedy war cool und ist es noch immer. Wenn eine so jugendlich wirkende, so fotogene Symbolgestalt auf tragische Weise ums Leben kommt, entdeckt die menschliche Vorstellungskraft schnell etwas Mythisches, Rätselhaftes. Denken Sie nur an Prinzessin Diana.